Barbara Renz hat in ihrem Leben viel erreicht, aber es ist ihr auch viel versagt geblieben. Sie war die erste Frau, die in Süddeutschland einen Doktortitel führen durfte.

Sie lernte eigenständig sechs Sprachen und studierte Philosophie zu einer Zeit, in der das Frauenstudium noch als ungehörig und unnütz betrachtet wurde.

Ihr akademischer Erfolg steht in krassem Gegensatz zu ihrer beruflichen Niederlage: Sie fand keine Arbeit, keine Anerkennung, und sie starb vereinsamt und arm, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, ihr religionswissenschaftliches Lebenswerk zu veröffentlichen.

Montag, Februar 27, 2006

Eine Kurzbiographie


„Nicht wahr, ich bin doch von jeher etwas - eigentümlich gewesen?"
(Barbara Renz, 1925)

Bauerntochter
Barbara Renz ist am 12. Dezember 1863 in Altenstadt/Iller (Bayern) als Tochter eines Landwirtes auf die Welt gekommen. Schon in der Volksschule war ihre akademische Befähigung offensichtlich, doch ein höherer Bildungsweg war, wie für alle Mädchen zu dieser Zeit, weder möglich noch erwünscht.


Ausbruch
Als sie ihre Schuljahre beendet hatte, wurde sie Handarbeitslehrerin. Das wollte sie aber nicht bleiben, und so verwendete sie das Geld, das ihr nach dem Tod ihrer Mutter zufiel, um in München Privatstunden zu machen. Weil es ein Absolutorium für Frauen in Deutschland nicht gab, legte sie es in Zürich ab. Anschließend, im Alter von 24 Jahren, zog sie nach Rom, denn dort durften Frauen studieren.

Das Fräulein Doktor
Inzwischen hatte Barbara ihr ganzes Geld verbraucht und sie hungerte oft, später konnte sie sich allerdings mit Privatstunden über Wasser halten. Ihre Prüfungen hat sie jedoch glänzend bestanden. In sechs von 14 Fächern bekam sie die beste Note. Ihre Doktorarbeit schrieb sie in Italienisch, sie konnte auch Englisch, Latein, Französisch und Griechisch sprechen.

Amerika
Als frischgebackene Dr. phil. durfte sie in Bayern nicht arbeiten. So wanderte sie nach Nordamerika aus, weil die Gleichberechtigung dort, so sagte man ihr, schon weiter fortgeschritten war. Sie verbrachte die meiste Zeit in der Nähe von New York City und fand zunächst Anstellungen als Hauslehrerin und in privaten Frauen-Colleges. Nach fünf Jahren könnte sie sich dann einbürgern lassen, und sich anschließend an einer Universität bewerben.



Die alte Jungfer
Die fünf Jahre waren fast vorüber, als sie das Heimweh packte und sie kurzerhand wieder nach Hause fuhr. In München bekam sie eine Stelle an der Königlichen Haupt- und Staatsbibliothek durch die Vermittlung ihrer Freundin Prinzessin Therese von Bayern (1850 - 1925). Dieser Eingriff „von oben" in die Struktur der erzkonservativen Institution brachte Barbara mehr Probleme und Ärger als Erleichterung von ihren Geldsorgen. Weil sie die erste Frau im deutschen Bibliotheksdienst war, war ihre Anstellung von enormer politischer Brisanz. Diskussionen im Landtag und in der Presse ließen bald kein gutes Haar an ihr. Ihre (ausschließlich männlichen) Vorgesetzten und Kollegen, die praktisch gegen ihren Willen eine "alte Jungfer" (sie war aber nur 38 Jahre alt!) präsentiert bekommen hatten, verübelten ihr ihre hohe Bildung und ihren Anspruch, als gleichberechtigte Mitarbeiterin behandelt zu werden. Dazu kam noch, daß sie, wie es der Brauch war, das erste Jahr unendgeltlich arbeiten mußte.

Münster und Breslau
Nach ungefähr 18 Monaten im Bibliotheksdienst war sie außerstande, dort weiterzuarbeiten, und kündigte. Damit endete eine schwere Zeit ihres Lebens - aber die nächsten Jahre würden es wieder wettmachen. Sie zog zu ihrem Lieblingsbruder Franz, der als Theologieprofessor an die Universiät Münster berufen war. Hier gründete sie eine Zweigstelle des Katholischen Frauenbundes, trieb ihre Studien weiter, hielt Vorträge und gab sogar Lesungen an der Universität. Als Franz Renz dort als Modernist verdächtigt wurde, gingen sie ins wesentlich liberalere Breslau. Auch hier betätigte Barbara sich
öffentlich, und im geistigen Austausch mit ihrem Bruder und dessen Kollegen fand sie ebenbürtige Gesprächspartner und intellektuelle Anregung.


Dillingen
Leider starb Franz Renz im Jahr 1916, und Barbara zog nach Dillingen, eine Stadt, die in der Nähe ihres Heimatdörfchens lag und wo sie noch gute Bekannte hatte. Hier verbrachte sie den Rest ihres Lebens. Sie arbeitete weiter an ihrem wissenschaftlichen Projekt,
„Baum und Schlange", das sie nach 30 Jahren endlich fertigstellen konnte. Dazu hielt sie noch Vorträge, engagierte sich im örtlichen Katholischen Frauenbund, und ließ sich in den Dillinger Stadtrat wählen. Weil ihr kleines Vermögen, das sie von ihrem Bruder geerbt hatte, in der Währungreform verloren ging, spielte sie auch eine führende Rolle im Verein der Kleinrentner.
Die letzten Jahrzehnte vor ihrem Tod mit fast 92 Jahren brachten viel Trauriges und Enttäuschendes für sie. Mit dem Schwinden ihrer geistigen Krafte mußte sie hinnehmen, daß es nicht möglich sein würde, ihr Lebenswerk zu veröffentlichen. Sie starb, am 1. April 1955, arm „wie eine Kirchenmaus", letztendlich ohne daß ihre außerordentliche Begabung, Mut und intellektuelle Arbeit Anerkennung gefunden hätten.

Sonntag, Februar 19, 2006

Warum schreibe ich diesen Blog? (2)

Das Leben von Barbara Renz war sicher nicht von immenser Wichtigkeit. Trotzdem ist die Schnelligkeit, mit der sie vergessen wurde, ungewöhnlich. Sie war sicher zur falschen Zeit am falschen Ort - als befähigte Frau mit Ambitionen in einer Welt, in der Frauen nichts zu sagen hatten; und als Akademikerin in der Nazizeit, als das Mittelmaß zum Exzeß getrieben wurde.

Der Grund, warum sie vergessen wurde, warum sie gelitten hat (ihr widerspenstiges Temperament hat die Leiden oft noch verschlimmert), war, daß sie anders war, ungewöhnlich, dass sie nicht ins Bild passte. Und gerade deswegen, meine ich, sollte diese Geschichte weitererzählt werden.

Warum schreibe ich diesen Blog?

Wir alle leben in und durch Geschichten. Durch Erzählen definieren wir uns und unsere Umgebung, und machen beides immer wieder von Neuem. Auch ist das Erzählen dazu da, Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen zu hinterfragen und sie spielerisch zu verändern.
Biographien sind ganz besondere Geschichten, die von uns selbst oder von einem anderen Menschen erlebt, gelebt wurden. Viele tragen sich mit dem Gedanken, einmal ihre Autobiographie zu schreiben, um ihren Standpunkt, ihr Glück, ihr Leiden in aller
Öffentlichkeit kundzutun. Und wohl auch, um dem Vergessen, das nach dem Tod die letzten Spuren von uns auslöscht, zu entgehen.
Wer vergessen ist, den gibt es nicht mehr - oder besser, den hat es nie gegeben. Wenn ein Mensch, der in seiner Zeit Wichtiges geleistet hat, schnell in Vergessenheit gerät, dann entsteht ein
„wunder Punkt", eine lacuna, die wir nicht wahrhaben wollen oder können. Dieser
„blind spot" hindert uns daran, (Lebens-) Geschichten zu interpretieren, zu erkennen und zu verstehen.