Eine Kurzbiographie
„Nicht wahr, ich bin doch von jeher etwas - eigentümlich gewesen?" (Barbara Renz, 1925)
Bauerntochter
Barbara Renz ist am 12. Dezember 1863 in Altenstadt/Iller (Bayern) als Tochter eines Landwirtes auf die Welt gekommen. Schon in der Volksschule war ihre akademische Befähigung offensichtlich, doch ein höherer Bildungsweg war, wie für alle Mädchen zu dieser Zeit, weder möglich noch erwünscht.
Ausbruch
Als sie ihre Schuljahre beendet hatte, wurde sie Handarbeitslehrerin. Das wollte sie aber nicht bleiben, und so verwendete sie das Geld, das ihr nach dem Tod ihrer Mutter zufiel, um in München Privatstunden zu machen. Weil es ein Absolutorium für Frauen in Deutschland nicht gab, legte sie es in Zürich ab. Anschließend, im Alter von 24 Jahren, zog sie nach Rom, denn dort durften Frauen studieren.
Das Fräulein Doktor
Inzwischen hatte Barbara ihr ganzes Geld verbraucht und sie hungerte oft, später konnte sie sich allerdings mit Privatstunden über Wasser halten. Ihre Prüfungen hat sie jedoch glänzend bestanden. In sechs von 14 Fächern bekam sie die beste Note. Ihre Doktorarbeit schrieb sie in Italienisch, sie konnte auch Englisch, Latein, Französisch und Griechisch sprechen.
Amerika
Als frischgebackene Dr. phil. durfte sie in Bayern nicht arbeiten. So wanderte sie nach Nordamerika aus, weil die Gleichberechtigung dort, so sagte man ihr, schon weiter fortgeschritten war. Sie verbrachte die meiste Zeit in der Nähe von New York City und fand zunächst Anstellungen als Hauslehrerin und in privaten Frauen-Colleges. Nach fünf Jahren könnte sie sich dann einbürgern lassen, und sich anschließend an einer Universität bewerben.
Die alte Jungfer
Die fünf Jahre waren fast vorüber, als sie das Heimweh packte und sie kurzerhand wieder nach Hause fuhr. In München bekam sie eine Stelle an der Königlichen Haupt- und Staatsbibliothek durch die Vermittlung ihrer Freundin Prinzessin Therese von Bayern (1850 - 1925). Dieser Eingriff „von oben" in die Struktur der erzkonservativen Institution brachte Barbara mehr Probleme und Ärger als Erleichterung von ihren Geldsorgen. Weil sie die erste Frau im deutschen Bibliotheksdienst war, war ihre Anstellung von enormer politischer Brisanz. Diskussionen im Landtag und in der Presse ließen bald kein gutes Haar an ihr. Ihre (ausschließlich männlichen) Vorgesetzten und Kollegen, die praktisch gegen ihren Willen eine "alte Jungfer" (sie war aber nur 38 Jahre alt!) präsentiert bekommen hatten, verübelten ihr ihre hohe Bildung und ihren Anspruch, als gleichberechtigte Mitarbeiterin behandelt zu werden. Dazu kam noch, daß sie, wie es der Brauch war, das erste Jahr unendgeltlich arbeiten mußte.
Münster und Breslau
Nach ungefähr 18 Monaten im Bibliotheksdienst war sie außerstande, dort weiterzuarbeiten, und kündigte. Damit endete eine schwere Zeit ihres Lebens - aber die nächsten Jahre würden es wieder wettmachen. Sie zog zu ihrem Lieblingsbruder Franz, der als Theologieprofessor an die Universiät Münster berufen war. Hier gründete sie eine Zweigstelle des Katholischen Frauenbundes, trieb ihre Studien weiter, hielt Vorträge und gab sogar Lesungen an der Universität. Als Franz Renz dort als Modernist verdächtigt wurde, gingen sie ins wesentlich liberalere Breslau. Auch hier betätigte Barbara sich
öffentlich, und im geistigen Austausch mit ihrem Bruder und dessen Kollegen fand sie ebenbürtige Gesprächspartner und intellektuelle Anregung.
Dillingen
Leider starb Franz Renz im Jahr 1916, und Barbara zog nach Dillingen, eine Stadt, die in der Nähe ihres Heimatdörfchens lag und wo sie noch gute Bekannte hatte. Hier verbrachte sie den Rest ihres Lebens. Sie arbeitete weiter an ihrem wissenschaftlichen Projekt,
„Baum und Schlange", das sie nach 30 Jahren endlich fertigstellen konnte. Dazu hielt sie noch Vorträge, engagierte sich im örtlichen Katholischen Frauenbund, und ließ sich in den Dillinger Stadtrat wählen. Weil ihr kleines Vermögen, das sie von ihrem Bruder geerbt hatte, in der Währungreform verloren ging, spielte sie auch eine führende Rolle im Verein der Kleinrentner.
Die letzten Jahrzehnte vor ihrem Tod mit fast 92 Jahren brachten viel Trauriges und Enttäuschendes für sie. Mit dem Schwinden ihrer geistigen Krafte mußte sie hinnehmen, daß es nicht möglich sein würde, ihr Lebenswerk zu veröffentlichen. Sie starb, am 1. April 1955, arm „wie eine Kirchenmaus", letztendlich ohne daß ihre außerordentliche Begabung, Mut und intellektuelle Arbeit Anerkennung gefunden hätten.